Ebene 3 im Vergleich
Die dritte Ebene Brechts spiegelt Verfremdungseffekt in der Aufführungs- bzw. filmischen Praxis wider. Dabei wird zum einen die Rolle des Schauspielers thematisiert, welcher durch ein künstliches Spiel, das Sprechen in der Vergangenheit, dem Mitsprechen von Kommentaren und Anweisungen sowie dem direkten Ansprechen der Zuschauer Distanz aufbauen kann. Auch mit Hilfe von Änderungen in der Betonung des Gesprochen kann dies erreicht werden. Das Bühnenbild bzw. das Setting erzielt eine distanzierende Wirkung durch ein puristisches Bühnenbild, welches die Imaginität des Betrachters fördert. Denkbar sind in diesem Rahmen außerdem sichtbar aufgestellte Lichtquellen oder deutlich zu erkennendes Drehequipment, da hierdurch das Betrachten eines Filmes bzw. Schauspiels verdeutlicht wird. Die musikalische Gestalung soll eigenständig und nicht untermalend präsentiert werden. Die Musik soll die Handlung nicht unterstützen, Inhalte vermitteln oder stellungsnehmend sein. Sie muss eher die Haltung der fokussierten Personen oder der Situation widerspiegeln. Das Editing kann bspw. durch eine sichtbare Montage eingebracht werden. Da bereits in Ebene zwei das Sprachspiel des Filmes vorgestellt wurde, soll dies im Folgenden außen vor gelassen werden.
Dogville
[Abb.1: das Bühnenbild Dogvilles]
Bezüglich der Rolle des Schauspielers lassen sich in Dogville keine
Verfremdungseffekte feststellen. Ganz im Gegenteil: die Schauspieler
scheinen sich komplett in ihre Rolle einzufühlen, sodass sie diese
gegenüber dem Zuschauer perfekt verkörpern und realistisch vorleben. Die
Darstellung wirkt so realistisch, dass eher ein Involvement und
aufgrund der schaustellerischen Leistung eine emotionale Bindung zu den
Charakteren erfolgt. Ein Durchbrechen der vierten Wand ist in dem
filmischen Werk nicht möglich. Die Situation eines Theaterstücks ist
lediglich nachgespielt, sodass kein reales abgefilmtes Publikum vor der
Bühne sitzt, welches von den Darstellern einbezogen werden könnte.
Im Gegensatz dazu ist das Bühnenbild Dogvilles ein Musterbeispiel an brechtschen Verfremdungseffekten. Sie ist aufgrund der nur durch aufgezeichnete Grundrisse erkennbaren Gebäude sowie den minimalistisch und entdetailisiert eingesetzten Requisiten (siehe Abb.1) als reine Illusion erkennbar und nicht zu verwechseln mit einer natürlichen Umgebung. Innerhalb dieser wenigen Requisiten gibt es nur eine, die ein Objekt der Natur darstellt: das Apfelbäumchen. Zusätzlich wird in wenigen Szenen, je nach Jahreszeit, Schnee, vertrocknetes Laub und Pappelsamen zur Verdeutlichung einer von Natur umgebenen Stadt eingesetzt. Dies verdeutlicht den Eingriff des Menschen, bspw. durch den Bau von Häusern, in die Natur und sogar deren Ausnutzung, was hier durch eine stillgelegte Mine, in welcher zu früheren Zeiten Mineralien abgebaut wurden, symbolisiert wird. Gemäß Brecht wirkt ein Bühnenbild dieser Art aufklärerisch. Durch die deutliche Begrenzung des Schauspieleraums ist im Vergleich zu anderen Filmen nur wenig Platz, die Handlung nachzuspielen. Die Schausteller müssen sich den Gegebenheiten der Bühne anpassen. Dennoch ist genau so viel Freifläche vorhanden, um der Rolle ausreichend Entfaltungsmöglichkeit zu bieten. Nicole Kidman wird es somit ermöglicht, eine gestresste und vielbeschäftigte Grace zu verkörpern, die in schnellem Tempo von Haus zu Haus rennt. Der Lasterfahrer Ben kann seinen Wagen auf die Bühne fahren und in der als Kreidelinie aufgemalten Garage, in der er außerdem wohnt, parken.
Im Gegensatz dazu ist das Bühnenbild Dogvilles ein Musterbeispiel an brechtschen Verfremdungseffekten. Sie ist aufgrund der nur durch aufgezeichnete Grundrisse erkennbaren Gebäude sowie den minimalistisch und entdetailisiert eingesetzten Requisiten (siehe Abb.1) als reine Illusion erkennbar und nicht zu verwechseln mit einer natürlichen Umgebung. Innerhalb dieser wenigen Requisiten gibt es nur eine, die ein Objekt der Natur darstellt: das Apfelbäumchen. Zusätzlich wird in wenigen Szenen, je nach Jahreszeit, Schnee, vertrocknetes Laub und Pappelsamen zur Verdeutlichung einer von Natur umgebenen Stadt eingesetzt. Dies verdeutlicht den Eingriff des Menschen, bspw. durch den Bau von Häusern, in die Natur und sogar deren Ausnutzung, was hier durch eine stillgelegte Mine, in welcher zu früheren Zeiten Mineralien abgebaut wurden, symbolisiert wird. Gemäß Brecht wirkt ein Bühnenbild dieser Art aufklärerisch. Durch die deutliche Begrenzung des Schauspieleraums ist im Vergleich zu anderen Filmen nur wenig Platz, die Handlung nachzuspielen. Die Schausteller müssen sich den Gegebenheiten der Bühne anpassen. Dennoch ist genau so viel Freifläche vorhanden, um der Rolle ausreichend Entfaltungsmöglichkeit zu bieten. Nicole Kidman wird es somit ermöglicht, eine gestresste und vielbeschäftigte Grace zu verkörpern, die in schnellem Tempo von Haus zu Haus rennt. Der Lasterfahrer Ben kann seinen Wagen auf die Bühne fahren und in der als Kreidelinie aufgemalten Garage, in der er außerdem wohnt, parken.
Im Kapitel Ton- und Musikanalyse wurde bereits beschrieben, dass die Musik einen vergleichsweise
seltenen Einsatz in dem hier vorliegenden Film findet. Durch das Fehlen von
musikalischer Begleitung in besonders brutalen und erschütternden Szenen, fühlt
sich der Zuschauer im stillen Raum mit der dargestellten Situation allein
gelassen. Aus vielen anderen filmischen Werken ist es das Publikum gewohnt,
dass Handlungen voller Dramatik mit ebenso charakteristischer Musik bestärkt werden.
Das Fehlen dieser Untermalung wirkt auf den Zuschauer befremdlich. An Stellen,
in denen Klangsequenzen ihren seltenen Einsatz finden, wirken sie jedoch, vor
allem aufgrund ihrer vorangegangenen Sparsamkeit, dramatisierend und die
Handlung unterstützend. Dies fördert in den musikalisch untermauerten Situation
das Involvement und findet dem gemäß entgegen der brechtschen Vorstellung von
reflexionsfördernden Mitteln, ihre
Einsatz. Es werden keine unpassenden Melodien gespielt, sodass Handlung
und Musik stets als Einheit wahrgenommen werden.
Das wahrscheinlich befremdlichste eingesetzte stilistische Mittel ist das der wackelnden Handkamera und der Jump Cuts (siehe Filmbeispiel). Wodurch diese Effekte gekennzeichnet sind, wurde bereits in der Analyse des Staging und Editing beschrieben. Es wird dadurch eine absolut künstliche und unorganische Beobachterposition bezüglich der abgefilmten Handlung eingenommen. Dem Zuschauer werden die Handlung und die darin verwickelten Akteure als unecht bewusst, sodass ihm eine größere Distanz zu den Leidenswegen und folgeschweren Entwicklungen ermöglicht wird. Er kann so unbefangener und sachlicher über die Situationen und deren Bedeutung nachdenken und Reflexionsarbeit betreiben.
Das wahrscheinlich befremdlichste eingesetzte stilistische Mittel ist das der wackelnden Handkamera und der Jump Cuts (siehe Filmbeispiel). Wodurch diese Effekte gekennzeichnet sind, wurde bereits in der Analyse des Staging und Editing beschrieben. Es wird dadurch eine absolut künstliche und unorganische Beobachterposition bezüglich der abgefilmten Handlung eingenommen. Dem Zuschauer werden die Handlung und die darin verwickelten Akteure als unecht bewusst, sodass ihm eine größere Distanz zu den Leidenswegen und folgeschweren Entwicklungen ermöglicht wird. Er kann so unbefangener und sachlicher über die Situationen und deren Bedeutung nachdenken und Reflexionsarbeit betreiben.
Der Besuch der alten Dame
Zur Aufführungspraxis bzw. den filmischen Möglichkeiten zählt unter anderem die Rolle des Schauspielers. Es ist dabei im vorliegenden Film nicht zu erkennen, dass reflexive Potenziale durch das Schauspiel ausgelöst oder gefördert werden. Das Spiel wirkt stets naturgemäß und der Person bzw. dem Charakter der Person angepasst. Typische Verfremdungsmechanismen, wie beispielsweise das Sprechen in der dritten Personen oder das Mitsprechen von Spielanweisungen, sind nicht zu verzeichnen. Einzig gewisse Eigenarten in der Betonung können aufgefunden werden. Exemplarisch soll hierfür folgende Szene sein.
Es wird gezeigt, wie Claire Zachnassian ihre Heimatstadt erreicht und von dem Repräsentanten der Stadt, Alfred Ill, empfangen wird. Alfreds Betonung zu Beginn der Szene wirkt dabei für den Zuschauer befremdlich, da sie nicht einer normalen Konversation entspringt, sondern eher aufgesetzt, fast zitiert wirkt. Dies entspräche einem brechtschen Verfremdungseffekt, jedoch erschließt sich dessen Zweck an jener Stelle nicht, da die Bedingung zu Claires Angebot noch nicht bekannt gegeben wurde und weder Afred noch die Bürger und erst recht nicht der Zuschauer einen Grund für Zweifel haben dürften. Es könnte lediglich ein Indiz auf die Andersartigkeit der Güllener in Bezug auf Claire sein, welche Zachanassians Macht und Abgrenzung gegenüber der Stadt erneut widerspiegelt. Ebenso könnte darauf geschlossen werden, dass diese Eigenart auf das Schauspiel des Akteurs zurückzuführen ist, nicht aber reflexionsfördernde Absichten besitzt.
[Abb.2: Claire am Boden]
Im Verlauf des Filmes erweist sich die Arbeitsweise der Schauspieler als natürlich und realistisch, was den Zuschauer in einen Zustand der Einfühlung versetzen soll. Besonders deutlich wird dies bei der Sequenz des versuchten Mordes, in welcher Alfred Ill Claire mittels einer Waffe bedroht. Claire ist am Boden liegend zu erblicken und ihr Ausdruck sowie ihre Körperhaltung lassen die Qualen erahnen (siehe Abb.2), welche sie durchlebt. So soll der Zuschauer durch die Figuren mitgerissen oder emotional involviert werden.
[Abb.3: Wandbemalung]
Auch das Setting kann in diesem Kontext von Bedeutung sein. Wird beispielsweise ein puristisches, weniger vorgebendes Set präsentiert, so wird der Zuschauer angehalten, eigenständig Details hinzuzufügen, um so eine kritische Distanz aufbauen zu können, da er den Prozess der Handlung durchdenken muss. Im Besuch der alten Dame allerdings scheint das präsentierte Bild eher gegenteilige Wirkungen zu haben. So werden durch einige Hauswand- und Fensterbemalungen (siehe Abb.3) Denkprozesse vorweggenommen und die Eigenleistung des Zuschauers verringert, indem die noch nicht augesprochene Meinung der Bürger bereits bekannt gegeben wird. Dies erhöht den rezipierenden Charakter des Films.
Auch die musikalische Gestaltung, welche bereits in Ebene 1 thematisiert wurde und deshalb hier nur kurz zusammenfassend erläutert werden soll, besitzt dabei nicht den von Brecht vorgeschriebenen Charakter. Sie erhält keine Eigenleistung sondern repräsentiert lediglich die Handlung bzw. untermauert diese und wertet wichtige Szenen durch einen Spannungszuwachs auf. Sie vermittelt keine Inhalte oder nimmt Stellung zu einem Sachverhalt. Reflektierende Wirkung kann deshalb nicht festgestellt werden.
Als letzter Punkt soll die Montage sowie das Staging auf Verfremdungseffekte hin untersucht werden. Natürliche Schwenks, welche einem menschlichen Rundblick im Raum gleichen sowie das Verzichten auf Zoomtechniken lassen einen realistisch anmutenden Eindruck entstehen. Auch die ruhigen Kamerabilder sowie der natürliche, für den Menschen leicht nachzuvollziehende Schnitt entspricht diesem weniger kritisch-distanzfördernden Editing. Ebenso wird durch den Establishing Shot ein Einfühlen ermöglicht, da dieser zum Folgen der Handlung durch den Zuschauer beiträgt und deshalb keine Brüche oder Skepsis hervorruft.
Insgesamt kann also festgestellt werden, dass der Besuch der alten Damen nur wenige wahre Verfremdungseffekte beinhaltet, sich aber durch einen langsamen Schnitt sowie einer realistischen Darstellung auszeichnet.
Zusammenfassung
Beide Filme vereint die schauspielerische Gestaltung. Diese ist stets natürlich und fördert so das Einfühlen des Zuschauers, setzt also keine Reflexionspotenziale in Bewegung. Erhebliche Unterschiede lassen sich auf dieser Ebene in Bezug auf die Bühnen bzw. Settinggestaltung herausarbeiten. Ist die Umgebung im Besuch der alten Dame mit vielen Details angereichert und bietet sogar gegenteilige Merkmale zu den brechtschen Verfremdungseffekten, so ist der Schauplatz von Dogville, die Bühne, entdetailisiert und bietet dem Zuschauer die Möglichkeit, diese durch eigene Vorstellungskraft zu ergänzen, was wiederum die kritische Distanz zum gesehenen wahrt. Auch die musikalische Gestaltung, welche bereits in Ebene 1 thematisiert wurde, entspricht diesem Gebrauch B´brecht'scher Verfremdungsmechanismen, da der sparsame Einsatz in Dogville entgegen der untermalenden und dramatisierenden Verwendung im Besuch der alten Dame steht.