Ebene 1: Aufbau der Stücke
Der Aufbau seiner epischen Werke unterscheidet sich dabei zur klassischen Dramentheorie. Er verwendet nicht den fünfaktiken Spannungsbogen, welcher eine Exposition, eine Wendung sowie eine Katastrophe oder Lösung der Handlung impliziert, sondern will durch die gezielte Eigenständigkeit der Akte, Brüche und Lücken innerhalb der Handlung hervorheben und so eine kritische Distanz schaffen (vgl. Kittstein 2008, S. 40).
Der aristotelische Aufbau eines Dramas regt somit zur
Identifikation mit den Protagonisten an, ähnlich der Theaterauffassung
Aristoteles, da das Stück als Ganzes gesehen und ein nicht zu
durchbrechender Spannungsbogen aufrecht erhalten wird. Stücke besitzen
einen Anfang, eine Mitte sowie ein Ende und sind somit ganzheitlich
(vgl. Aristoteles 1982, S. 25). Akte können nicht in beliebiger
Reihenfolge aufgeführt oder verändert werden (vgl. Aristoteles 1982, S.
25), “denn was ohne sichtbare Folgen vorhanden sein oder fehlen kann,
ist [..] nicht Teil des Ganzen” (Aristoteles 1982, S. 29).
Reflexionspotenziale werden durch diesen komplexen Aufbau unterbunden.
[Abb.2: Verlaufsgrafik des epischen Theaters]
Im dialektischen Theater hingegen enthält jede Szene, jeder Akt diesen
Spannungsbogen, ist für sich geschlossen und austauschbar (vgl. Brecht
1930, S. 125). Des Weiteren versucht Brecht in das Drama epische, also
erzählerische Mittel einfließen zu lassen (vgl. Geiger et al. 1996, S.
138). So werden Szenenüberschriften und kurze einleitende Worte, welche
auf der Theaterbühne für den Zuschauer sichtbar projiziert werden, sowie
eine Erzählfigur oder nicht in das Stück integrierte Lieder zur
Brechung und Verfremdung der Geschehnisse angewendet (vgl. Geiger et al.
1996, S. 138).
[Abb. 3: "Die heilige Johanna der Schlachthöfe".
Aufführung des Deutschen Theaters Berlin.]
Brecht
versucht Verfremdung mittels einer Kombination sich entgegenstehender
und nicht harmonisch verbundener Kunstformen, wie beispielsweise
szenisches Spiel, Tanz oder Musik, zu erzeugen (vgl. Kittstein 2008,
S. 40). So entspringen Musikstücke im brechtschen Theater keinesfalls
der Handlung, sondern werden deutlich getrennt vom Schauspiel
vorgetragen. Dies ermöglicht eine eigene Reflexion des Liedes innerhalb
des Gesamtstückes (vgl. Kittstein 2008, S. 41). Des Weiteren finden
Projektionen, Texttafeln oder Videomitschnitte zur Generierung
weiterführender Hintergrundinformationen Verwendung (vgl. Brecht 1940,
S. 201; Kittstein 2008, S. 41). Diese ermöglichen einen historischen
Blick auf die Handlungen der Figuren und spiegeln die Überlegenheit der
Zuschauer wider, welche dadurch aus der bloßen Betrachtung herausgehoben
werden (vgl. Kittstein 2008, S. 41). Die Zuschauer werden mit der
direkten Realität konfrontiert “zum Zwecke der politischen Aufklärung”
(Geiger/Haarmann 1996, S. 74). Dabei sollten diese Medien in ihrem
Einsatz aber nicht einfach vom Zuschauer rezipiert werden, was einem
passiven Konsum nachkäme, sondern vom Publikum ebenso reflektiert
werden, wie der Stoff, der Plot des Stückes (vgl. Geiger et al. 1996, S.
74). “Die Aufmerksamkeit verlagert sich vom Ergebnis der Handlung auf
deren Ablauf im Detail und auf die Motive und tieferen Zusammenhänge des
Vorgeführten.” (Kittstein 2008, S. 41).
Auch
die Gestaltung der Figuren und der Handlung spielt auf diese
Verfremdungsmechanismen an. Es werden absichtlich und zielorientiert
Widersprüche eingebaut, um den Zuschauer zum nachdenken zu animieren
(vgl. Geiger et al. 1996, S. 78). Brechts Helden werden nicht als
unveränderbare Urmenschen gestaltet, sondern als historisch gewachsene
und Veränderungen unterworfene Individuen, welche Erstaunen und Skepsis
hervorrufen sollen, keine Identifikation (vgl. Geiger et al. 1996, S.
78).