Das epische Theater
In Anknüpfung an die alltägliche Lebenspraxis entwickelte Bertolt Brecht in zahlreichen Schriften, Anmerkungen und Aufsätzen ein neuartiges Theaterkonzept, das epische oder auch dialektisches Theater genannt, welches darauf abzielt, den Theaterbesucher in einen Zustand der Reflexion zu versetzen (vgl. Kittstein 2008, S. 35). Im Folgendem soll das Theaterkonzept von dem Aristotelischen, der Theatertheorie Dürrenmatts sowie der Theorie Winfried Marotzkis abgegrenzt und die Methodik der Verfremdung erläutert werden. Zunächst jedoch werden die Beweggründe Brechts sowie die Zielsetzung des epischen Theaters betrachtet.
Notwendig wurde dies durch die fortschreitende technisch-wissenschaftliche Entwicklung und die nicht damit einhergehende Analyse gesellschaftlicher Aspekte (vgl. Kittstein 2008, S. 36). Das epische Theater sollte nun als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst fungieren, soziale Phänomene zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung machen und dem Zuschauer einen Einblick in gesellschaftliche Verhältnisse ermöglichen (vgl. Brecht 1930, S. 124; Kittstein 2008, S. 36). Dies erfolgt mittels Stücken, welche die Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns demonstrieren und dokumentieren (vgl. Brecht 1936, S. 41). Brecht will mit dem dialektischen Theater “die gesellschaftliche Realität kritisieren mit Blick auf deren Veränderung” (Geiger/Haarmann 1996, S. 73).
Voraussetzung dafür, ist ein Überblick über die vorherrschenden gesellschaftlichen Gebilde (vgl. Geiger et al. 1996, S. 73). Brecht strebt mit seinem epischen Theater die Läuterung und Erkenntnisgewinnung des Zuschauers an, „verfolgt [also] vorrangig belehrende, aufklärerische Ziele und möchte Einsichten in Vorgänge aus dem zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen Bereich vermitteln“ (Kittstein 2008, S. 36). Kritikfähigkeit soll langfristig stabilisiert und gestärkt werden (vgl. Geiger et al. 1996, S. 76). Dabei sollen die Stücke aber keinen primären Lehrveranstaltungscharakter einnehmen, sondern eine “genussvolle Belehrung des Publikums” (Kittstein 2008, S. 37) sein. Lehren und Lernen werden so mit dem Vergnügen verknüpft (vgl. Brecht 1936, S. 61). Dies ermöglicht es auch den benachteiligten und unterdrückten Schichten, welche Brecht adressiert (vgl. Brecht 1936, S. 33), wissenschaftliche Theorien und gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu analysieren (vgl. Kittstein 2008, S. 38). Kritische Distanz evoziert dabei ebenso Handeln (vgl. Geiger et al. 1996, S. 73). Durch die reflexive Sicht auf gesellschaftliche Phänomene soll eine Lösung gesucht, gefunden sowie umgesetzt werden, was eine Änderung gesellschaftlicher Interaktionen impliziert. Dies wiederum bedarf einer realistischen Darstellung, welche in den Geschichten der Stücke zu erkennen ist (vgl. Brecht 1936, S. 39).