Einleitung
In diesem Kapitel wird der Film Der Besuch der alten Dame filmstilistisch analysiert und interpretiert. Hierfür wird zunächst anhand der herausgearbeiteten Narration sowie Personenkonstellation und Charakteristika eine Interpretationshypothese herausgearbeitet, die anschließend durch eingesetzte Mittel der Mise-en-Scene, welche den Fokus auf das Setting, die verwendeten Farb- und Lichteffekt, den Ton und die Musik sowie das Staging, untersucht wird. Zusätzlich werden Bezüge durch Techniken des Editings und dem Einsatz von Grundmustern zur Hypothese hergestellt. Abschließend werden die zuvor erarbeiteten Ergebnisse im Fazit zusammengefasst und in Verbindung zur Interpretationshypothese gebracht.
Der Film
Die wohlhabende Claire Zachanassian kehrt in ihr Heimatdorf Güllen zurück, um den Einwohnern ein folgenschweres Angebot zu machen. Für zwei Milliarden sollen sie den beliebten Bürger Alfred Ill töten, anchdem er sie in ihrer Jugend gedemütigt und bloßgestellt hatte.
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Narration
Der Film basiert auf einer chronologischen Narrationsstruktur. In der Exposition werden die
Hauptcharaktere und das finanzielle Problem der Bürger vorgestellt.
Zunächst sind alle Bürger zufrieden und zuvorkommend. Mit dem
unmoralischen Angebot von Claire, für den Tod von Alfred Ill 2
Milliarden Güllen zu bezahlen tritt der erste Wendepunkt ein. Anhand des
Angebots recherchiert die Reporterin Mia Fakten aus der Vergangenheit
Alfreds und Claires. Langsam wird der Öffentlichkeit von Alfreds alte
Taten berichtet und sie verlieren den Glauben an Alfred. Ab der
Treibjagd, in der er das Jagdobjekt war, wendet sich Alfreds Schicksal
stetig dem Ende zu. Die Bürger vertrauen ihm nicht mehr und wollen ihn
öffentlich in einer Volksabstimmung schuldig sprechen. Kurz vor der
Abstimmung spricht sich Alfred mit seiner Tochter und Claire aus. Einen
kurzen Augenblick scheint es eine Lösung zu geben. Schlussendlich kommt
es in der Volksabstimmung zum endgültigen
Vertrauensabfall.
Die Vergangenheit Clairs wird nur nach und nach aufgedeckt
Die Vergangenheit Clairs wird nur nach und nach aufgedeckt
Exposition
Die Exposition des Filmes ist gleichzeitig die Einführung in die verschiedenen Handlungsstränge. Während Claire Zachanassians Reise in die Stadt Güllen vorgestellt wird, zunächst mit dem Privatflugzeug, dann mit einer Limosine und schließlich die Landung mit dem Helikopter, sind die Vorbereitungen in der Stadt selbst in vollem Gange. Zeitgleich zu den Verschönerungsarbeiten und Kapellenproben treffen sich die Stadtoberhäupter, der Bürgermeister, der Bankier bzw. Sparkassenleiter, der städtische Polizist, der Hoteldirektor des "Goldenen Apostels", der Lehrer, der Pfarrer und später auch Alfred Ill, der ehemalige Verlobte Claires, in einem Konferenzraum des Rathauses. Sie diskutieren das Anlegen des von Zachanassian gestifteten Geldes, von dessen künftigen Existenz sie überzeugt sind, und bestimmen Ill aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit mit Claire als Botschafter der Stadt. Gemeinsam mit den anderen bestimmenden Männern der Stadt begrüßt Ill Claire bei ihrer Ankunft am Bahnhof.
Steigerung
Nach der Ankunft Claires, fahren sie und Ill zu einem nahe gelegenen See, welchen sie gemeinsam bereits in vergangen Tagen besucht hatten. Ill schlägt eine Bootsfahrt vor, die alte Dame stimmt zu. Nach einigen gewechselten Worten fragt Claire Ill, ob er Kinder habe. Dieser bejaht dies. Auf die Rückfrage Ills antwortet Claire nicht, sondern möchte sofort am Ufer abgesetzt werden. dort angekommen fasst Ill die ausweglose situation der Bürger Güllens zusammen und bittet um eine Chance. Claire stimmt dieser zu. Daraufhin feiern die Stadtältesten die künftige Spende, welche das Leben in der Stadt erheblich verbesser soll.
Das erregende Moment kann bei einem, zu Ehren Claires veranstalteten
Bankett im Konferenzsaal des Rathauses expliziert werden. Dort
formuliert Frau Zachanassian ein "unmoralisches Angebot" (vgl. Der
Besuch der alten Dame, 21:02). Sie zahlt Güllen 2 Milliarden,
gleichmäßig
auf jeden Bürger verteilt, wenn
Alfred Ill tot ist. Sie begründet dieses angebot mit dem Ruf nach
Gerechtigkeit. Alle Bürger sind entsetzt und vor allem der Bürgermeister
protestiert gegen diese Bedinung.
Im Folgenden wird durch einige Gespräche mit Ill sowie Mia Mohr, Ills Tochter, die Vergangenheit Claire Zachanassians aufgedeckt. Es stellt sich heraus, dass sie aufgrund eines von ihr im betrunkenen Zustand verursachten Autounfall ihr noch ungeborenes Kind verlor. Das Mädchen kam als Todgeburt zur Welt. Seit dem ist es ihr nciht mehr möglich, Kinder auszutragen. Doch dies wird erst durch die Vaterschaftsanzweifelung Ills zum Verrat, welcher in dem Vaterschaftsprozess anzweifelt, alleiniger potenzieller Vater zu sein. Dies wird durch die Falschaussage zweier Freunde Ills untermauert. All dies soll jedoch nicht an die Öffentlichkeit gelangen. In
Interviews verweist Claire deshalb die Reporter zu Alfred Ill selbst, um den Grund
für das Angebot aufzudecken. Dieser wird von seiner Frau unterstützt.
Um sich selbst zu überzeugen, beteuert diese die Freundschaft zu den
Mitbürgern. Auch die Obersten bezeichnen die Bedingung zunächst als
unmoralisch, es zeichnet sich aber bald ab, dass unerwartet viel Geld
von den Güllenern in Anspruch genommen wird. So werden wieder Kredite
vergeben, luxoriöse Autos bestellt sowie Renovierungsarbeiten in der Stadt durchgeführt. Auch die Ältesten rechnen sich aus,
welches Geld ihnen im Todesfalle Ills zusteht. Die Situation erreicht
ihren Höhepunkt, als das "Güllener
Tageblatts" nach einer Wiederauflebung der Todesstrafe fragt. Ill unternimmt letzte Versuche, Gnade zu erhalten, indem er Claire um diese sowie den Polizeidirektor um die Verhaftung Claires bittet. Auch den Bürgermeister sowie den Pfarrer befragt er. Doch alle versichern ihm seine Sicherheit.
Nach all seinen unerfüllten
Gnadensuchen beschließt Alfred schließlich, als er Claire eines Nachts
allein an seinem Verkaufshaus vorbeigehen sieht, ihr
zu folgen. Er findet sie am See, wo sie mit dem Rücken zu ihm gewandt
auf das Wasser blickt. Alfred stellt sich hinter sie und hält ihr eine
Waffe an die rechte Schläfe. Er habe keine andere Wahl, da es heißt, er
oder sie. Sie dreht sich langsam zu ihm um und beide
küssen sich leidenschaftlich. einige Augenblicke später jedoch fällt
Claire aufgrund von körperlichen Schmerzen auf den Boden und auch Ill
kann sie nicht halten. Sie fleht ihn an, sie zu töten. Ill jedoch wendet
sich nach einigen Sekunden ab und verlässt Claire, welche nach wie vor
auf dem Boden liegt.
Klimax
Höhepunkt ist die Treibjagd, zu welcher Ill überraschend nach dem versuchten Mord an Claire eingeladen wird. Zunächst ist er erfreut über die augenscheinliche Rehabilitation in das Gemeinschaftsgefüge, schnell jedoch stellt sich heraus, dass er bei dieser Treibjagd das Opfer sein soll. Pansich rennt Alfred Ill nach dem ersten Schuss, welcher ihn nur knapp verfehlte, durch den Wald. Er versucht zu entkommen, während weitere Schüsse zu hören sind.
Retardierendes Moment
Nach diesem Zwischenfall verlangsamt sich die Handlung zusehens und baut somit einen Spannungsbogen bis zur Katastrophe. Ill sucht nach der Jagdszene in seinem Autohaus Schutz, wird jedoch auch dort erneut von einer Kugel aufgesucht. Angsterfüllt versucht er zum Bahnhof zu gelangen, um zu fliehen. Dort wird er von einigen Güllenern erwartet, welche die Flucht verhindern wollen. Nur durch ein Reporterteam, darunter Ills Tochter Mia, gelingt es, den versuchten Mord an Ill durch das Werfen vor einen Zug zu verhindern. Stattdessen verabschieden sich die Bürger so überschwänglich von ihm, dass er den Zug dennoch verpasst. Im Verlauf der Geschichte wird Ill immernich das Vertrauen der Bürger versichert, obwohl die Stadtältesten bereits über eine externe Lösung des Problems, also einen professionellen Auftragsmörder, nachdenken. Nach einem nächtlichen Stadtrundgang scheint Ill sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben und versucht, sich mit seiner Tochter zu versöhnen. Nach diesem Gespräch klärt er darüber hinaus Claire Zachanassian über den wirklichen Tathergang des Unfalls auf. Sie nimmt seine Entschuldigung an, kann ihm aber nicht verzeihen. In der Zwischenzeit versuchen der Rektor sowie der Bürgermeister, die Situation zu lösen, indem sie Claire um den Kauf des alten Werkes, welches früher die Stadt am Leben erhielt, bitten. Diese erklärt daraufhin, dass das Werk bereits ihr gehöre und gibt somit die Vorsätzlichkeit ihrer Tat preis. Dann kommt der Tag des Bürgerentscheids, welchem Ill nach einem eindringlichen Gespräch mit dem Bürgermeister zustimmt.
Katastrophe
Alle Bürger finden sich in der alten Werkshalle ein. Der Bürgermeister stellt die entscheidende Vertrauensfrage gegenüber Ill. Diese beantworten alle Bürger der Stadt mit nein und fordern somit Ills Tod. Auch Ills Ehefrau Angelika entscheidet sich gegen ihren Mann. Einzig seine Tochter Mia versucht in letzter Sekunde durch die Kraft einer Nachrichtenkamera das Unheil zu verhinden. Als Claire an der Lagerhalle eintrifft, nachdem sie Ill verzeihen konnte, ist es bereits zu spät. Die Menge bildet eine Gasse für die gehbehinderte Frau und zum Vorschein kommt der blutende, am Boden liegende Ill. Er ist tot. Claire überreicht dem stolzen Bürgermeister den Check, und bezeichnet ihn, und somit ganz Güllen, als dieser zu lächeln beginnt, als Mörder. Am nächsten Tag reist sie ab.